Vier-Tage-Woche: Wie fränkische Pilotprojekte die Work-Life-Balance und Arbeitgeberattraktivität verändern

Artikel von: Stefan Zinke
Dank Vier-Tage-Woche: Mehr Energie für die Arbeit mit den Kleinsten ©Halfpoint, Adobestock.com

Acht Stunden täglich, fünf Tage pro Woche – dieses Arbeitszeitmodell prägt seit Jahrzehnten das Leben vieler Menschen. Der Rhythmus aus Arbeit und Wochenende scheint festgeschrieben: 40 Stunden schuften, zwei Tage erholen, dann geht alles von vorne los. Doch immer mehr Beschäftigte und Unternehmen stellen dieses klassische Modell infrage. Was wäre, wenn wir die Arbeitszeit verkürzen könnten, ohne die Produktivität zu senken? Fränkische Pilotprojekte zeigen, wie die Vier-Tage-Woche die Arbeitswelt postiv verändern kann.

Was ist die Vier-Tage-Woche?

Die Vier-Tage-Woche beschreibt ein Arbeitszeitmodell, bei dem die reguläre Wochenarbeitszeit auf vier, statt auf fünf Tage aufgeteilt wird. Entsprechend steigt das tägliche Arbeitspensum auf 10 Stunden. Es gibt allerdings auch andere Modelle, die beispielsweise die wöchentliche Arbeitszeit auf 32 Stunden reduzieren.

Das Ziel dieses Modells ist es, die Work-Life-Balance der Beschäftigten zu verbessern. Gleichzeitig soll die Produktivität gesteigert werden. Das Pareto-Prinzip  zeigt: Auch ein geringeres Arbeitspensum kann ausreichen, um die nötigen Aufgaben zu erfüllen. Aufgrund der veränderten Anforderungen an die moderne Arbeitswelt nimmt insbesondere unter jungen Menschen das Thema „Vier-Tage-Woche“ immer mehr an Fahrt auf.

Diese Vorteile hat die Vier-Tage-Woche für Arbeitnehmer

Mit der Einführung der Vier-Tage-Woche erhalten Arbeitnehmer einen zusätzlichen freien Tag pro Woche – ein Gewinn, der weit über bloße Erholung hinausgeht. Die gewonnene Zeit eröffnet neue Freiräume, um sich intensiver der Familie zu widmen, persönliche Interessen und Hobbys zu pflegen oder einfach einmal durchzuatmen. Viele Menschen nutzen die zusätzliche Zeit aber auch, um sich stärker gesellschaftlich einzubringen, etwa durch ehrenamtliche Tätigkeiten oder soziales Engagement in Vereinen und Initiativen. So bietet die Vier-Tage-Woche nicht nur mehr Lebensqualität im Privaten, sondern kann auch das soziale Miteinander und das Gemeinwesen insgesamt bereichern.

Gesundheitliche Aspekte

Gerade die Gesundheit der Beschäftigten profitiert spürbar von einer verkürzten Arbeitswoche. Studien belegen, dass Arbeitnehmer in der Vier-Tage-Woche nicht nur konzentrierter und leistungsfähiger sind, sondern sich auch stärker mit ihrem Unternehmen identifizieren. Sie starten mit mehr Zufriedenheit und deutlich weniger Stress in die Arbeitswoche. Die Zahl der Krankmeldungen sinkt, und auch das Risiko für Burnout-Erkrankungen wird messbar reduziert.

Mehr Freizeit wirkt sich zudem positiv auf den Lebensstil aus: Viele Beschäftigte bewegen sich häufiger, achten bewusster auf ihre Gesundheit und berichten von einer besseren mentalen Verfassung. Die längeren Erholungsphasen steigern die Schlafqualität, sodass Mitarbeitende ausgeruht und mit neuer Energie an den Arbeitsplatz zurückkehren.

Warum die Vier-Tage-Woche auch für Unternehmen Vorteile bringen kann

Auch Unternehmen profitieren in vielerlei Hinsicht von der Einführung der Vier-Tage-Woche. Indem sie die Arbeitszeitmodelle an die Bedürfnisse einer modernen Gesellschaft anpassen, steigern sie ihre Attraktivität als Arbeitgeber erheblich. Firmen, die auf eine Vier-Tage-Woche setzen, werden als innovativ und mitarbeiterorientiert wahrgenommen – und heben sich damit deutlich von der Konkurrenz ab.

Interessanterweise führt die verkürzte Arbeitszeit häufig zu einem Anstieg der Produktivität: Mitarbeitende nutzen die zur Verfügung stehende Zeit bewusster, arbeiten konzentrierter und erzielen dadurch effizientere Ergebnisse. Von den positiven Effekten auf die Gesundheit der Beschäftigten profitieren auch die Unternehmen selbst, denn die Zahl der Krankmeldungen sinkt und Burnout-Fälle treten seltener auf. So reduzieren sich nicht nur die Ausfallkosten, sondern auch die Belastung für die verbleibenden Teams.

Herausforderungen und Nachteile der Vier-Tage-Woche

Auch wenn der Umstieg auf eine Vier-Tage-Woche interessant und vor allem einfach klingt, muss bedacht werden, dass der Wechsel mit einigen Hürden einhergeht. Viele Führungskräfte haben Bedenken hinsichtlich Kontrollverlust und den organisatorischen Herausforderungen. Sollte die Produktivität nicht gesteigert werden, besteht die Gefahr, dass Gehälter gekürzt werden müssen, um die Verluste auszugleichen.

Häufig wird beim Vier-Tage-Modell die Verdichtung der Arbeitszeit auf die verbliebenen Tage kritisiert. Insbesondere in sehr stressigen Berufen ist eine Verschlimmerung der Stressfaktoren möglich, wenn Aufgaben nicht entsprechend angepasst werden können. Daher kann das Prinzip der Vier-Tage-Woche auch nicht auf jeden Berufszweig angewendet werden. Primär in stark unterbesetzten Berufsfeldern oder Tätigkeiten, die eine stete Bereitschaft voraussetzen, ist eine Arbeitszeitverkürzung nur schwer bis gar nicht umsetzbar. Als Beispiel seien Pflegeberufe, Mediziner, Industrie und zum Teil auch der Einzelhandel genannt.

Unternehmen müssen sicherstellen, dass Kundenwünsche weiterhin erfüllt werden können und die Erreichbarkeit nicht unter den beruflichen Anpassungen leidet. Die Lösung kann in der Anstellung weiterer Mitarbeiter oder neuen Schichtmodellen liegen.

Die Erfolgsfaktoren für Unternehmen

Wer sein Unternehmen auf die Vier-Tage-Woche umstellen möchte, sollte seinen Mitarbeitern frühzeitig die geplanten Veränderungen mitteilen. Das Kollegium sollte am besten in den Umsetzungsprozess mit eingebunden werden. Nicht jede Stelle lässt sich auf das Modell umstellen, entsprechend sollten die Lösungen auf die Mitarbeiter zugeschnitten werden. Nur so kann ein Unternehmen jedem Angestellten gerecht werden.

Um die kürzere Arbeitszeit zu kompensieren, ist es meist notwendig, so viele Prozesse wie möglich zu digitalisieren und zu automatisieren. Beispiele sind hierbei Werkzeuge wie digitale Projektmanagement-Systeme. Letztlich sollten Unternehmen einen größeren Wert auf die Umsetzung von Zielen, anstatt die reine Anwesenheit legen. Wenn effektiv gearbeitet wird, lässt sich die Arbeitszeit leicht verkürzen.

Internationale Erfahrungen und Studien

In den Jahren 2022 bis 2023 fand in Großbritannien die größte Studie zum Thema Vier-Tage-Woche statt. 61 britische Unternehmen mit rund 2.100 Mitarbeitern testeten die Vier-Tage-Woche über einen Zeitraum von sechs Monaten. Begleitet wurde das Projekt unter anderem von der NGO „4 Day Week Global“. Am Pilotprojekt beteiligten sich Unternehmen aus unterschiedlichsten Branchen – von Dienstleistungs- und Produktionsbetrieben bis hin zu klassischen Bürojobs.

Das Ergebnis war eindeutig. 56 der teilnehmenden Unternehmen waren so zufrieden mit der Umstellung, dass das Modell dort dauerhaft weitergeführt werden soll. Die Produktivität blieb stabil oder nahm sogar leicht zu. Auf den Umsatz und den Gewinn konnten allerdings keine relevanten Veränderungen ausgemacht werden. Die Krankheitstage fielen von zwei auf 0,7 pro Monat. 40 % der Mitarbeiter empfanden weniger Stress, 15 % würden unter keinen Umständen mehr in eine Fünf-Tage-Woche zurückkehren wollen.

Ähnliche Ergebnisse zeigten auch Studien und Pilotprojekte in Island, Spanien und Portugal. In Belgien ist es Beschäftigten seit Ende 2022 möglich, ihre Arbeitszeit flexibel auf vier Tage aufzuteilen. Alternativ kann auch eine echte Arbeitszeitverkürzung mit entsprechender Gehaltsanpassung gewählt werden.

Das erste Pilotprojekt in Deutschland

Anfang Februar 2024 begann die größte Pilotstudie zur Vier-Tage-Woche in Deutschland. 45 Unternehmen aus verschiedenen Branchen nahmen teil, begleitet von der Uni Münster und der Initiative „4 Day Week Global“.

Es zeigt sich ein signifikanter Anstieg der Lebenszufriedenheit der Beschäftigten. Die mentale und körperliche Gesundheit verbesserte sich laut Befragungen ebenso. Auch hier war kein gesteigerter Umsatz feststellbar, die Produktivität stieg in einigen Unternehmen aber leicht an. Über 70 % wollen die Vier-Tage-Woche beibehalten. Die größte Herausforderung stellte dabei die Umstellung auf das neue Modell dar. Viele Unternehmen konnten die Arbeitszeit nicht wie geplant um 20 % reduzieren, da organisatorische Hürden bestanden, besonders bei kleineren Unternehmen oder Branchen mit hoher Kundenorientierung.

Ein fränkisches Praxisbeispiel: Das Kinderhaus Nürnberg

Auch das Kinderhaus Nürnberg beteiligte sich als Teil des internationalen Pilotprojekts „4 Day Week Global“ an der Erprobung der Vier-Tage-Woche. Es gilt als fränkisches Vorzeigebeispiel für die erfolgreiche Umsetzung des neuen Arbeitsmodells. Das Ziel war es dabei, die eigene Attraktivität als Arbeitgeber zu steigern und dem Fachkräftemangel in der Branche entgegenzuwirken.

Als gemeinnütziger Träger mit Schwerpunkt auf Betreuung, Bildung und Erziehung von Kindern betreut das Kinderhaus über 60 Kindertagesstätten. Dazu zählen Krippen, Kindergärten und Horte. Mit mehreren tausend Betreuungsplätzen und mehreren hundert Angestellten zählt das Kinderhaus zu den größten freien Trägern im Raum Nürnberg. Die Einrichtungen bieten vielfältige pädagogische Konzepte und richten sich an Kinder im Alter von 0 bis 14 Jahren. In enger Kooperation mit der Stadt Nürnberg und weiteren Partnern engagiert sich das Kinderhaus seit vielen Jahren für eine qualitativ hochwertige und inklusive Kinderbetreuung in der Region.

Die Umstellung auf die Vier-Tage-Woche

Intern stießen die Pläne, die Arbeitszeit zu verkürzen, auf großes Interesse. Angestellte waren aktiv an der Umsetzung beteiligt. Letztendlich wurden die Dienstpläne so weit optimiert, dass eine fünf Tage Betreuung weiterhin gegeben ist. Abläufe wurden optimiert, die Work-Life-Balance verbessert.

Die Umstellung lief dabei nicht ohne Probleme. Insbesondere in einer Branche mit hohem Personalmangel wird jede Arbeitskraft benötigt, entsprechend anspruchsvoll war dieser Schritt. Doch es hat sich gelohnt. Die Zahl der Bewerbungen hat sich im ersten Quartal nach Einführung der Vier-Tage-Woche verdreifacht. Das neue Modell hat die Attraktivität des Kinderhauses als Arbeitgeber deutlich gesteigert – auch andere Träger interessieren sich mittlerweile für das Konzept.

Was hat sich seitdem getan?

Das Projekt der Vier-Tage-Woche läuft weiterhin unverändert weiter. Mitarbeiter können sich jeweils zum 1.3. und zum 1.9. eines Jahres entscheiden, ob sie weiterhin an fünf oder vier Tagen die Woche arbeiten möchten. Nach Ablauf der Modellphase zeigt sich weiterhin eine große Akzeptanz des Vier-Tage-Modells. So haben sich bisher nur vier bis fünf Mitarbeitende wieder für das ursprüngliche Arbeitsmodell entschieden. Dies war hierbei ausschließlich im Kitabereich der Fall. Trotz einer Reduktion von 38,5 auf 36 Wochenstunden wurden die längeren Arbeitstage als zu anstrengend empfunden.

Es steht derzeit die Idee im Raum, nur noch alle zwei Wochen einen freien Wochentag einzuplanen. Damit sollen die Arbeitstage kürzer gehalten werden. Ein Wechsel auf 32 Stunden ist leider aktuell nicht möglich. Innerhalb einer Gruppe ist es aufgrund des bestehenden Fachkräftemangels und der ohnehin hohen Teilzeitquote oft nicht möglich, dass mehrere Mitarbeitende gleichzeitig auf die Vier-Tage-Woche umstellen. Bei vielen Mitarbeitenden in Vollzeit ist die Umstellung allerdings unproblematisch.

In Bezug auf Krankheitsausfälle gibt es noch keine repräsentativen Zahlen. Aufgrund der häufig grasierenden Infektionskrankheiten sind üblicherweise alle Kollegen, unabhängig von den Arbeitstagen von Erkältungen usw. betroffen. Die Arbeitszufriedenheit der Angestellten ist sehr hoch. Dies wird sicherlich dadurch verstärkt, dass die Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich gesenkt werden konnte. Die Fluktation ist gering, die Bewerbungen immens: Auch wenn keine Stellen mehr ausgeschrieben sind, erhält das Kinderhaus regelmäßig eine Vielzahl an Initiativbewerbungen.

Optimierungspotentiale werden genutzt

In einigen Teams werden die Teamsitzungen nun effektiver gestaltet. So fallen diese oftmals eine halbe Stunde kürzer aus oder finden seltener statt, beispielsweise alle 14 Tage. Der kurzfristige Ausfall mehrerer Mitarbeitender aufgrund von Krankheit wurde durch die Einführung der Vier-Tage-Woche weder erleichtert noch erschwert. Es wurden allerdings mehrere Springerkräfte zusätzlich eingestellt, welche die Teams bei Ausfällen enorm entlasten. Durch die große Anzahl an Bewerbungen können Blaumacher schneller durch motiviertere Arbeitskräfte ersetzt werden.

Allgemein kann die Umstellung auf die kürzere Arbeitswoche als voller Erfolg gewertet werden. Die Arbeitskräfte schätzen die Möglichkeit, auf das Vier-Tage-Modell wechseln zu können, auch wenn es aktuell nur von knapp 10 Prozent tatsächlich genutzt wird. Große Resonanz gab es bei den über 60-Jährigen, deren Arbeitszeit nur noch 34 Stunden bei vollem Lohnausgleich beträgt. Am häufigsten wird das Modell der Vier-Stunden-Woche aber von den jungen Mitarbeitenden genutzt, die noch keine Care-Verpflichtungen haben.

Würde die Leiterin des Kinderhauses die Umstellung auch anderen Unternehmen empfehlen?

Carola Weise, die Leiterin des Kinderhauses, empfielt anderen Einrichtungen, es zumindest einmal auszuprobieren. Dabei sollten die Mitarbeitenden direkt in die Planung und Organisation eingebunden werden. Die Angestellten vor Ort können am besten einschätzen, wo Probleme auftreten können. Insbesondere in Kitas bietet es sich an, den Wechsel nur zweimal pro Jahr anzubieten, damit keine zusätzliche Mehrarbeit für die Umstellung der Dienstpläne entsteht.

Ein genereller Anspruch auf bestimmte freie Tage, wie beispielsweise Montag oder Freitag, besteht nicht. Vielmehr wird darauf geachtet, die arbeitsfreien Tage innerhalb der Teams so zu verteilen, dass nicht mehrere Mitarbeitende gleichzeitig dienstplanfrei haben. Die Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit ist dabei verpflichtend. Aus Sicht der Verantwortlichen sollte die Obergrenze bei maximal 36 Wochenarbeitsstunden liegen.

Außerhalb der Kindertagesstätten, in denen kein Dienstplan erforderlich ist, kann der freie Tag flexibel gewählt werden. Meist pendelt sich dieser aber auf einen festen Wochentag ein. In den Kitas selbst ist ein Tausch des freien Tages hingegen nahezu ausgeschlossen. Während der Pilotphase wurde regelmäßig ein Stimmungsbild aus den Einrichtungen eingeholt. Dies war nötig, um frühzeitig mögliche Herausforderungen bei der Umsetzung der Vier-Tage-Woche zu erkennen und gegebenenfalls nachsteuern zu können.

Ein Ausblick: Ist die Vier-Tage-Woche das Arbeitsmodell der Zukunft?

Die Vier-Tage-Woche ist zwar kein Allheilmittel gegen den Fachkräftemangel und kann auch kurzfristige Ausfälle nicht vollständig verhindern. Dennoch trägt sie dazu bei, das Betriebsklima nachhaltig zu verbessern – und das, ohne finanzielle Nachteile für das Unternehmen.

Gerade in Zeiten, in denen qualifizierte Fachkräfte rar sind, kann ein innovatives Arbeitszeitmodell wie die Vier-Tage-Woche die Attraktivität als Arbeitgeber deutlich steigern. Besonders in wissensbasierten und kreativen Branchen hat dieses Modell das Potenzial, sich langfristig durchzusetzen und zum neuen Standard zu werden. Auch Gewerkschaften und Parteien sprechen sich zunehmend für die Einführung der Vier-Tage-Woche aus und treiben die gesellschaftliche Debatte voran.