Personalführung leicht gemacht: das Big-Five-Modell im Arbeitsalltag anwenden

aktualisiert am 11.12.2024  | 
Artikel von: Stefan Zinke
Wer seine Stärken kennt hat es bei der Berufswahl leichter. ©Gorodenkoff, Adobestock.com

Unsere Persönlichkeit spielt eine entscheidende Rolle im Arbeitsalltag, da sie maßgeblich beeinflusst, wie wir mit Herausforderungen umgehen, mit Kollegen interagieren und unsere Aufgaben bewältigen. Eine weit verbreitete Methode zur Erfassung und Beschreibung von Persönlichkeit ist das Big-Five-Modell, auch bekannt als Fünf-Faktoren-Modell von Gordon Allport & Odbert.

Dieses Modell fasst die menschliche Persönlichkeit in fünf zentrale Dimensionen zusammen: Offenheit für Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus. Durch die Analyse dieser Merkmale kann man wertvolle Einblicke in die individuellen Stärken und Schwächen von Mitarbeitern gewinnen, was sowohl für die persönliche Entwicklung als auch für die effektive Teamarbeit von großem Nutzen ist.

Was versteht man unter Persönlichkeit?

Doch was genau ist das eigentlich, eine Persönlichkeit? Mit dem Begriff ist die Gesamtheit der persönlichen Eigenschaften eines Menschen gemeint. Abgeleitet vom lateinischen Wort “persona” bezeichnet sie den Charakter eines Menschen beziehungsweise spielt auf die Rolle an, die ein Mensch in seinem eigenen Leben einnimmt.

Pierre Bourdieu geht hierbei einen Schritt weiter und sieht in der eigentlichen ausgelebten Identität einer Person eine Rolle. Diese Rolle variiert dabei abhängig von der gegebenen sozialen Situation und den beteiligten Personen.

Das System der Big Five geht hierbei von einer allgemeineren Persönlichkeit aus, welche sich ab dem dreißigste Lebensjahr festigt und anschließend nicht mehr ändert. Denkmuster und Verhaltensweisen lassen sich durch dieses Modell identifizieren und voraussagen. Jede Ausprägungskombination kann dabei als Chance gesehen werden, da es für jeden Charaktertypen den idealen Beruf gibt, er muss nur noch gefunden werden. Deshalb ist der Nutzen des Big-Five-Modells so gewinnbringend.

Die Big-Five-Dimensionen: Eine detaillierte Betrachtung

Diese fünf FaktorenOffenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion (ein nach außen gewandtes Persönlichkeitsprofil), Verträglichkeit und Neurotizismus (die Tendenz einer Person, Emotionen eher äußerst kontrolliert zu zeigen) – beeinflussen maßgeblich, wie sich Menschen im Berufsleben verhalten und wie erfolgreich sie in verschiedenen Rollen und Arbeitsumgebungen sind. Das Verständnis dieser Eigenschaften kann dabei helfen, die Mitarbeiter oder sich selbst besser einzuschätzen und gezielt einzusetzen, um die Produktivität und das Arbeitsklima zu verbessern.

Offenheit für Erfahrungen – kreativ oder konservativ?

Der Faktor “Offenheit” beschreibt, wie aufgeschlossen und fantasievoll jemand ist. Menschen mit hoher Offenheit sind neugierig, kreativ und bereit, neue Ideen auszuprobieren und Erfahrungen zu sammeln. Sie schätzen Kunst, Kultur und Abenteuer, was sie zu innovativ und vielseitig macht. Allerdings kann diese Offenheit auch dazu führen, dass sie schneller den Fokus verlieren und risikofreudiger sind. Personen mit geringer Offenheit bevorzugen bewährte Methoden und zeigen Pragmatismus und Ausdauer, was sie oft als konservativ erscheinen lässt.

Gewissenhaftigkeit – sorgfältig oder spontan?

Gewissenhaftigkeit beschreibt, wie organisiert, verantwortungsbewusst und zuverlässig eine Person ist. Menschen mit hoher Gewissenhaftigkeit sind oft diszipliniert, gründlich und zielstrebig. Sie übernehmen Verantwortung und streben nach Perfektion, was sie zu wertvollen Teammitgliedern macht. Jedoch kann ein übermäßiger Perfektionismus auch belastend sein. Menschen mit niedriger Gewissenhaftigkeit sind flexibler und spontaner, was sie manchmal unzuverlässig erscheinen lässt, aber auch Kreativität und Anpassungsfähigkeit fördert.

Extraversion – sozial oder zurückhaltend?

Extraversion beschreibt das Maß an Geselligkeit und Begeisterungsfähigkeit einer Person. Extrovertierte Menschen sind kontaktfreudig, energiegeladen und genießen soziale Interaktionen. Sie agieren oft als “Anleiter” in Gruppen und bringen Dynamik in soziale Situationen. Ein zu hoher Grad an Extraversion kann jedoch als herrisch wahrgenommen werden. Menschen, die eine geringe Extraversion aufweisen, sind eher zurückhaltend und tanken Energie in ruhigeren, isolierten Umgebungen. Sie sind oft unabhängig und arbeiten gut allein.

Verträglichkeit – kooperativ oder konkurrenzorientiert?

Verträglichkeit zeigt, wie empathisch, kooperativ und mitfühlend eine Person ist. Menschen mit hoher Verträglichkeit sind verständnisvoll und arbeiten gut in Teams, da sie oft als die „guten Seelen“ des Teams gelten. Sie neigen dazu, Konflikte zu vermeiden und Harmonie zu suchen. Allerdings kann eine hohe Verträglichkeit auch zu Naivität und Unterwürfigkeit führen. Personen mit geringer Verträglichkeit sind oft wettbewerbsorientiert und stehen in Konkurrenz zu anderen, was sie als streitlustig und egozentrisch erscheinen lässt.

Neurotizismus – sensibel oder stabil?

Neurotizismus misst die emotionale Stabilität und wie jemand mit negativen Emotionen umgeht. Menschen mit hohem Neurotizismus sind oft nervös und reagieren empfindlich auf Stress. Diese Sensibilität kann zu Unsicherheit und einem erhöhten Risiko für psychische Belastungen führen. Menschen mit niedrigem Neurotizismus sind emotional stabiler und gelassener, was zu einer höheren Zufriedenheit und einem besseren Umgang mit stressigen Situationen führt. Sie sind in der Regel selbstsicherer und widerstandsfähiger gegenüber emotionalen Herausforderungen.

Big-Five Persönlichkeitsmerkmale im Arbeitsalltag

Die Persönlichkeitseigenschaften des Big-Five-Modells haben einen signifikanten Einfluss auf die berufliche Leistung, die Berufswahl und die Effizienz am Arbeitsplatz. Offene Menschen wählen oft kreative und innovative Berufe, wo ihre Neugier und Anpassungsfähigkeit besonders geschätzt werden. Dies fördert die Effizienz in dynamischen und kreativen Umgebungen, kann aber in stabileren Bereichen zu Ablenkungen führen. Gewissenhafte Personen tendieren dazu, Berufe zu wählen, die Organisation und Verantwortung erfordern, und zeichnen sich durch hohe Zuverlässigkeit und Detailgenauigkeit aus, was ihre Effizienz in strukturierten Umgebungen steigert.

Extraversion beeinflusst die Berufswahl hin zu sozialen und führenden Rollen, wo Kontaktfreudigkeit und Energie von Vorteil sind. Dies fördert die Effizienz in teamorientierten und kommunikationsintensiven Berufen. Verträglichkeit führt zu einem harmonischen Arbeitsumfeld und begünstigt Rollen, die Empathie und Zusammenarbeit erfordern, was die Effizienz in kooperativen Teamstrukturen erhöht.

Neurotische Menschen sind möglicherweise in stressigen Umgebungen weniger effizient. Emotional stabile Personen kommen für gewöhnlich in anspruchsvollen Rollen besser zurecht. In der Personalentwicklung und Führung ist es wichtig, diese Eigenschaften zu berücksichtigen, um Mitarbeiter entsprechend ihrer Stärken einzusetzen und ein unterstützendes Arbeitsumfeld zu schaffen, das sowohl individuelle Bedürfnisse als auch teamdynamische Anforderungen berücksichtigt.

Verträglichkeit im Home Office: Ein besonderer Fokus

Eine Studie aus Lettland aus dem Jahr 2022 nutzte den damals aktuell hohen Anteil der Mitarbeiter im Home-Office, um das Verhältnis zwischen dem Big-Five-Modell und dem Arbeiten von zuhause aus zu analysieren. Es wurden dabei 1.700 Personen befragt. Die Befragten mussten sich selbst anhand von Aussagen kategorisieren.

Es zeigte sich, dass die Gewissenhaftigkeit einen sehr großen Einfluss auf die tatsächliche Produktivität hat. Wer hier in den oberen 25 % landete, machte durchschnittlich häufiger positive Erfahrungen im Home-Office. Ebenso produktiv zeigten sich jene Personen mit einem hohen Wert an Offenheit. Wer hingegen bei Extraversion und/oder Verträglichkeit punktete, war eher weniger produktiv, insbesondere wenn kein allzu häufiger Austausch mit den Teamkollegen stattfand.

Hier müssen Führungskräfte ansetzen, um negative Effekte zu reduzieren. Es sollten in regelmäßigen Abständen die Bedürfnisse der Mitarbeiter abgefragt werden, ansonsten besteht die Gefahr, diese auf Dauer zu verlieren.

Bei neurotischen Personen zeigte sich kein allzu großer Unterschied zwischen dem Home-Office und dem herkömmlichen Büro. Die Produktivität ist hier im Büro leicht höher. Insgesamt ist die Gewissenhaftigkeit der größte Einflussfaktor dafür, ob die Arbeit von zuhause sinnvoll ist oder nicht.

Welche Berufe eignen sich demnach für welchen Charaktertyp?

Wendet man das Big-Five-Modell auf moderne Berufe an, kann man gewisse Berufe den unterschiedlichen Persönlichkeiten zuordnen. Hier einige Beispiele:

Offenheit für Erfahrungen:

  1. Künstler
  2. Schriftsteller
  3. Designer
  4. Architekt
  5. Wissenschaftler
  6. Fotograf
  7. Marketing-Spezialist
  8. Software-Entwickler
  9. Produktmanager
  10. Unternehmensberater

Gewissenhaftigkeit:

  1. Buchhalter
  2. Projektmanager
  3. Ingenieur
  4. Anwalt
  5. Arzt
  6. Verwaltungsangestellter
  7. Lehrer
  8. IT-Administrator
  9. Qualitätsprüfer
  10. Personalreferent

Extraversion:

  1. Vertriebsmitarbeiter
  2. Eventmanager
  3. Schauspieler
  4. PR-Spezialist
  5. Unternehmensberater
  6. Reiseleiter
  7. Lehrer
  8. Teamleiter
  9. Personalberater
  10. Kundenservice-Manager

Verträglichkeit:

  1. Sozialarbeiter
  2. Pflegekraft
  3. Psychologe
  4. Lehrer
  5. Mediator
  6. Personalentwickler
  7. Ergotherapeut
  8. Kundenbetreuer
  9. Berater
  10. Gemeindearbeiter

Neurotizismus (gering):

  1. Pilot
  2. Arzt
  3. Feuerwehrmann
  4. Polizist
  5. Notfallmediziner
  6. Unternehmensleiter
  7. Jurist
  8. Soldat
  9. Börsenmakler
  10. Journalist

Gute Merkmalskombinationen für bestimmte Berufe:

Lehrer:

  • Hohe Verträglichkeit und Extraversion für den Umgang mit Schülern und Kollegen.
  • Hohe Gewissenhaftigkeit für die Planung und Durchführung des Unterrichts.

Unternehmensberater:

  • Hohe Offenheit und Extraversion für kreative Problemlösungen und Kundeninteraktionen.
  • Hohe Gewissenhaftigkeit für die genaue Analyse und Umsetzung von Projekten.

Ärzte und Pflegekräfte:

  • Hohe Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit für präzise und einfühlsame Patientenbetreuung.
  • Geringer Neurotizismus für den Umgang mit stressigen und kritischen Situationen.

Projektmanager:

  • Hohe Gewissenhaftigkeit für die Organisation und Koordination von Projekten.
  • Hohe Extraversion für die Kommunikation und Motivation des Teams.

Vertriebsmitarbeiter:

  • Hohe Extraversion und Offenheit für Kundeninteraktionen und Verkaufsgespräche.
  • Hohe Gewissenhaftigkeit für das Nachverfolgen von Leads und Verkaufsstrategien.

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